Mineralölverunreinigungen von Lebensmitteln: Wann sind „funktionelle Barrieren“ sicher?

Bilder: Akademie Fresenius
Dr. Konrad Grob (l.) vom Kantonalen Labor in Zürich bemängelte, dass zu einseitig über Mineralölbelastungen von Recyclingkartons diskutiert werde. Bilder: Akademie Fresenius

Nach wie vor warten die Lebensmittelindustrie und die Verpackungswirtschaft auf deutsche und europäische Richtlinien zum Umgang mit der Verunreinigung von Lebensmitteln mit Mineralölrückständen. Trotz 30-jähriger Diskussion ist die Informationslage noch lückenhaft. Das wurde auch bei einer Tagung in Düsseldorf wieder deutlich.

Die Verpackungswirtschaft wartet weiter auf verlässliche Hinweise zum Umgang mit Rückständen von potenziell gesundheitsschädlichen aromatischen Mineralölen (MOAH) und gesättigten Mineralölen (MOSH) in Lebensmitteln. Die Debatte ist nahezu 30 Jahre alt. Verpackungen werden darin deswegen zum Thema, weil als gesichert gilt, dass bei der Verwendung von zuvor bedrucktem, recyceltem Papier verbliebene Mineralölspuren aus den Druckfarben in die Lebensmittel eindringen können. Mittlerweile ist aber auch klar, dass es weitere Eintragsfaktoren gibt wie die Produktion mit verunreinigten Maschinen, Abgase und Emissionen, Zusatzstoffe wie etwa bestimmte Wachse oder auch Transportsäcke aus Jute oder Sisal, die mit Mineralölen bearbeitet wurden. Selbst aus Um- oder Transportverpackungen gehen Schadstoffe in die Lebensmittel über.

Erwartet wird seit vielen Jahren eine verbindliche gesetzliche Regelung. Diese soll mit der deutschen „Bedarfsgegenständeverordnung“ erfolgen. Besser bekannt ist sie als Mineralölverordnung. Sie liegt bislang nur als Entwurf vor und erntet viel Kritik. Einer der Gründe: Es herrscht noch keine Klarheit über die Definition der Gefahrenstoffe und damit einhergehend die Bestimmung von Grenzwerten. Denn Mineralöle sind höchst komplexe Gebilde aus verschiedensten Kohlenwasserstoffen und nur schwer zu bestimmen.

Romy Fengler (r.) vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV)

Romy Fengler (r.) vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV)

Auch auf europäischer Ebene fehlt ein einheitlicher Regulierungsrahmen. Die Europäische Kommission hat zwar Anfang dieses Jahres einen Monitoringprozess zu Mineralölrückständen in Lebensmitteln gestartet. Erste Ergebnisse sollen indes nicht vor 2019 vorliegen. „Die fehlende Klarheit bei der Regulierung führt in der Industrie zu Unsicherheit. Diese wünscht sich Planungssicherheit“, hatte Dr. Monika Tönnießen, Manager Product Safety & Regulatory Affairs bei Henkel, bereits im Januar 2017 dem „packaging journal“ gesagt.

Verengung der Diskussion auf Recyclingkarton ist nicht mehr zeitgemäß

In der Kritik am deutschen Gesetzentwurf sind sich so unterschiedliche Akteure wie Rüdiger Helling vom sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz und Matthias Wolfschmidt von der Verbraucherschutzorganisation „foodwatch“ einig. Beide waren als Referenten zu einer Tagung der Akademie Fresenius am 7. und 8. November 2017 in Düsseldorf geladen. 17 Expertinnen und Experten diskutierten dort mit Führungskräften aus der Wirtschaft den Status quo bei der Diskussion um Mineralölrückstände in Lebensmitteln.

Es sei nicht mehr zeitgemäß, die deutschen Vorschriften nur auf den Kontakt von Lebensmitteln mit Recyclingkarton zu beschränken, merkte Rüdiger Helling an. Unterstützt wurde er von Konrad Grob vom Kantonalen Labor in Zürich. Dort war 1989 erstmals die Verunreinigung von Haselnüssen mit Mineralölrückständen aufgefallen. Die durch die öffentliche Skandalisierung angestoßene Diskussion um Recyclingkartons führe in die falsche Richtung. Zu einseitig werde über die Belastung mit Mineralöl diskutiert. Gefordert sei aber eine umfassende Analyse aller von Recyclingkarton auf Lebensmittel übergehenden Stoffe. Rüdiger Helling meinte, es sei quasi unmöglich, einzelne Stoffe komplett zu eliminieren. Erfolg versprechender sei eine Minimierungsstrategie.

Groß war das Interesse der Führungskräfte aus der Lebensmittel- und der Verpackungsindustrie am Austausch mit Expertinnen und Experten über die Belastung von Lebensmitteln mit Mineralölrückständen.

Groß war das Interesse der Führungskräfte aus der Lebensmittel- und der Verpackungsindustrie am Austausch mit Expertinnen und Experten über die Belastung von Lebensmitteln mit Mineralölrückständen.

Kritik an geplanten „funktionellen Barrieren“ in der Mineralölverordnung

Bemängelt wurden auf der Fresenius-Tagung die im Entwurf der Mineralölverordnung vorgesehenen „funktionellen Barrieren“. Geplant ist, dass Lebensmittelverpackungen aus Altpapier mit einer dünnen Barrierefolie versehen werden müssen. Diese soll allerdings nur verhindern, dass mehr als 0,5 Milligramm MOAH pro Kilogramm durch die Folie dringen. Dieser Wert wird unter anderem von Foodwatch als viel zu hoch kritisiert. Die Organisation fordert, dass alle in Papier verpackten Lebensmittel ohne Ausnahmen mit wirksamen funktionellen Barrieren geschützt werden müssen.

Unmöglich scheint diese Forderung nicht zu sein. Für fast jedes Lebensmittel lassen sich wirksame Beschichtungen für nahezu alle Verpackungsarten benennen. Das berichteten bereits im Jahr 2011 Vertreter von BASF bei einem Workshop des BfR in Berlin. Das Chemieunternehmen hatte in einer groß angelegten Studie die Migration von Mineralölrückständen in Lebensmittel und die Wirksamkeit verschiedener Barrierelösungen untersucht. Auch andere große Unternehmen befassen sich intensiv mit dem Thema. So betreibt beispielsweise Henkel auf seiner Internetpräsenz ein eigenes Informationsportal zur Lebensmittelsicherheit und zum sicheren Verpacken von Lebensmitteln. Das Lebensmittelchemische Institut (LCI) des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie in Köln bietet für die Verbandsmitglieder wiederum eine „Toolbox“ mit Daten und Hinweisen zu Kontaminationsquellen und Ansatzpunkten zur Optimierung der Prozesskette an.

Mineralölrückstände belasten den Körper ein Leben lang

Die Belastung von Lebensmitteln mit den Mineralölrückständen MOSH und MOAH gilt deswegen als problematisch, weil die Stoffe sich im Körperfett und in Organen wie Leber und Milz ablagern. Menschen nehmen über den Lebensmittelverzehr täglich zwischen 0,03 und 0,3 Milligramm MOSH pro Kilogramm Körpergewicht auf, hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Jahr 2012 ermittelt. Bei MOAH werden zwischen 0,006 und 0,06 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht aufgenommen. Insgesamt sammeln sich bis zu 13 Gramm Mineralöl während eines Menschenlebens im Körper an. Auch wenn die Folgen für die menschliche Gesundheit nicht endgültig geklärt sind – es gibt zu viele Einflussfaktoren –, rät das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), vor allem die Verunreinigung von Lebensmitteln mit MOAH komplett zu unterbinden.

Fraunhofer-Institut arbeitet an Prognosemodellen

Weitere hilfreiche Daten werden derzeit beim Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising generiert. Noch bis 2018 läuft dort in Kooperation mit der Technischen Universität München ein Projekt, an dessen Ende Leitlinien zur Minimierung der MOSH/MOAH-Migration stehen sollen. Ziel ist es, ein Modell zu entwickeln, um die Mineralölmigration verlässlich vorherzusagen. Dazu wurden verschiedene Lebensmitteltypen simuliert, unter wechselnden Umweltbedingungen diversen Mineralölbestandteilen ausgesetzt und Barrieremessungen unterzogen. Je nach Fettgehalt, Struktur und Komplexität der Zutaten wurden spezifische Kontaminationseffekte festgestellt.

Romy Fengler vom Fraunhofer-IVV führte auf der Tagung in Düsseldorf unter anderem aus, dass für die Verunreinigung mit MOSH und MOAH nicht nur ein Faktor verantwortlich ist, sondern ein ganzes Bündel an Einflussfaktoren. Sie nannte die Art der Verpackungslösung, die Lagerbedingungen und die Lebensmitteleigenschaften selbst. Grundsätzlich gelange MOAH schneller in die Lebensmittel als MOSH. Dies fanden die Fraunhofer-Forscher heraus, als sie die Schadstoffmigration bei verschiedenen Schokoladenprodukten und Teigwaren näher unter die Lupe nahmen.